29 - SPRACHLOS

Schon gestern Abend hatte meine Recherche ergeben, dass die erste Fähre des Tages, zu der ich nur 30 Kilometer zu radeln hatte, erst um 14:30 Uhr fahren würde.

Ein halber Pausentag also! Zwar auch wieder eine „Zwangspause“, die ich freiwillig wahrscheinlich nicht gemacht hätte, aber diesmal fiel es mir viel leichter als noch vor 10 Tagen, diese Pause auch dankbar anzunehmen. Ich habe auch ehrlich gesagt den ganzen Vormittag lang nicht viel mehr gemacht, als Pause. Habe ordentlich ausgeschlafen und dann entspannt meine Sachen gepackt.

Bevor ich richtig in meine Etappe starten konnte, musste ich aber noch einkaufen. Direkt im Ort gab es einen Supermarkt, in dem ich meine Vorräte wieder auffüllen konnte. Weil ich gestern Abend fast mein gesamtes Essen aufgefuttert hatte, war mir nur noch eine Grapefruit für heute Morgen geblieben. Und das bedeutete, dass ich, als ich um 11:30 Uhr am Supermarkt ankam, schon Bauchweh vor Hunger hatte. Wie eine Gestörte hab‘ ich mich auf alles gestürzt, was einigermaßen lecker aussah. Und eine neue Brille für 10€ hab ich auch gefunden. Am Ende hab ich so viel ausgegeben, wie bisher noch bei keinem Einkauf. Und es hat kaum alles auf mein Fahrrad gepasst. Ich musste mal wieder direkt ein paar Sachen reindrücken.

Im Supermarkt hab‘ ich Timeon wieder getroffen. Das ist der Typ, der an dem Felsen auf den Lofoten bouldern will. Und kurz bevor ich losgefahren bin, kam auch noch Fred dazu. Letztendlich ist Timeon dann aber eine andere Route gefahren, weil er sich noch einen Gletscher anschauen wollte. Aber Fred und ich sind zusammen gestartet. Und dann einfach jeder nach seinem Tempo.

Der Himmel war quasi wolkenlos und die Aussichten fantastisch. Und ich sprachlos.

I can see clearly now, the rain is gone

hab ich mit Kopfhörern gehört.

I can see all obstacles in my way
gone are the dark clouds that had me blind
It’s gonna be a bright, bright sun-shiny day
It’s gonna be a bright, bright sun-shiny day
I think I can make it, now the pain is gone
all of the bad feelings have disappeared

Unterwegs hat Fred mir erzählt, dass ein Marius aus Dänemark, den wir gestern schon am Campingplatz getroffen hatten, auch unterwegs zu der Fähre war. Er hatte wohl seit gestern einen gerissenen Schaltzug und keinen Ersatz dabei. Er wollte in Ørnes einen Radladen suchen und hoffte dort auf eine Reparatur. Als ich ihn am Fährkai stehen sah, überreichte ich ihm kurzerhand einen von den zwei, die ich von Papa mitbekommen habe. Er war ziemlich dankbar und hatte damit wohl nicht gerechnet. Und ich hab’ mich gefreut, ein bisschen helfen zu können. Und mein Papa sitzt jetzt bestimmt zuhause und ist stolz wie Oscar, dass er mir den Schaltzug eingepackt hat.

In Ørnes waren wir dann so um 15 Uhr. Ich entschloss mich, noch ungefähr 55 Kilometer bis zu einem Campingplatz zu fahren. Fred machte eine kürzere Etappe daraus. Wir fuhren die ersten Kilometer noch gemeinsam, sofern das auf einer Bundesstraße möglich ist. Und was wir da für Aussichten gesehen haben, machte mich wieder sprachlos. Mir fehlten nachmittags oft die Worte, so schön finde ich es hier.

Als wir direkt an der Straße einen kleinen Sandstrand fanden, waren wir im Glück. Sowas hätte ich nördlich vom Polarkreis wirklich nicht erwartet!!

Irgendwann trennten sich dann unsere Wege. Fred bog ab Richtung Campingplatz und ich kämpfte mich noch ein paar Kilometer weiter.

Seit dem Nachmittag hatte ich irgendwie ordentlich Kopfschmerzen. Eigentlich hab ich den ganzen Tag über genug getrunken, also war es vielleicht auch einfach von den ganzen Eindrücken. Kann man Kopfweh vom Staunen bekommen?

Eine Ibu hat geholfen und ich hab’ es am Ende noch die restlichen Kilometer zum Campingplatz geschafft.

Hier konnte ich meine Wäsche waschen und heiß duschen, so lange ich wollte. Das hat mich wiederhergestellt. Als ich in der kleinen Grillhütte am Wasser auf Rentierfellen saß und mein Abendessen vorbereitet hab’, wurde ich von einem Mann zum Lagerfeuer eingeladen. Wie sich am Ende herausstellte, waren wir alle aus Deutschland oder Österreich und konnten uns den ganzen Abend auf Deutsch unterhalten. Mit der langsam tiefer sinkenden Sonne im Rücken und meiner Nudelsuppe im Topf, konnte ich lustigen Radreise-Geschichten von Nils und Birgit (hoffentlich hab’ ich mir die Namen richtig gemerkt) lauschen. Und auch ein Österreicher, der mit seiner Freundin unterwegs ist, hatte eine wilde Story auf Lager. Den beiden (von denen ich den Namen garnicht kenne) war auf den Lofoten das Auto abgeschmiert. Sie haben einen 30 Jahre alten Peugeot-Camper, der dort jetzt mit Getriebeschaden auf seine Rückführung nach Österreich wartet. Aber statt den Urlaub abzubrechen, haben sie sich jetzt aus Dachlatten provisorische Gepäckträger für ihre Retro-Rennräder gebastelt und machen sich damit auf den Weg Richtung Süden.

So etwas kann man sich wirklich nicht ausdenken. Das sind Geschichten, die man nur glaubt, wenn man in Norwegen in der Mitternachtssonne in irgendeinem Fjord am Feuer sitzt und es mit eigenen Augen sieht und hört.

Der Campingplatzbesitzer Ali, der uns auch das Lagerfeuer gemacht hatte, war super gastfreundlich. Als es draußen zu kalt wurde, hat er uns ein zweites Feuer in der Grillhütte angemacht. Und da saßen wir dann noch eine Weile zusammen. Es war richtig, richtig schön. Und so ein Lagerfeuer hat auf mich auch immer eine ganz beruhigende Wirkung. Als ich vorher in meinen Schlafsack gekrochen bin, war ich ganz zufrieden und entspannt.

Léoni

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Tourdaten

KM gesamt: 3394,26

HM gesamt: 34684

Zeit gesamt: 177:06

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KM heute: 89,64

HM heute: 996

Zeit heute: 4:31

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Aktueller Standort

8120 Nygårdsjøen, NO

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