11 - VORWÄRTS

Gestern Abend bin ich in meinem Schlafsack eingeschlafen, als es noch hell war. Und als ich heute Morgen ausgeschlafen aufgewacht bin, war es schon wieder hell. Man spürt richtig, dass die Tage hier länger sind. Bald kommt Midsommer!

Nach dem Aufwachen bin ich heute Morgen mit dem Schlafsack und meinem Ladekabel in den Aufenthaltsraum marschiert. Nachts ist es so frisch, dass im Zelt immer alles ein bisschen klamm wird. Und den Schlafsack möchte ich ungern feucht einpacken.

Zum Glück hab ich mich heute deutlich besser gefühlt. Der viele Schlaf hat Wirkung gezeigt und auch die Laune, die gestern (wahrscheinlich aufgrund des hormonellen Durcheinanders) nicht so perfekt gewesen war, war besser.

Ich habe entspannt alles zusammengepackt, nochmal mit Mama telefoniert und gefrühstückt. Das Wetter war ziemlich schön, aber frisch. Vielleicht gelte ich als Süddeutsche hier aber auch einfach als Frostbeule. Für die Norweger ist Sommer. Während ich heute Morgen in Leggins und Daunenjacke mit Stirnband da saß, fuhren schon lauter Kinder in kurzer Hose und T-Shirt auf ihren Fahrrädern herum.

Als ich endlich losgekommen bin, war es schon halb elf. Aber ich hatte mir keine allzu große Etappe für den Tag vorgenommen und war entspannt. Mein einziges Ziel war: vorwärts! Stillstand fühlt sich seltsam an. Wenn ich mich weniger fit fühle, dann lieber nur einen halben Tag fahren. Aber bisher war ich noch nie so platt, dass ich komplett aussetzen wollte.

Ich hatte heute das Gefühl, es endlich ein bisschen genießen zu können, hier zu sein. Die Route war super abwechslungsreich. Mal ging es über kleine geschotterte Waldwege, mal über kleine Straßen. Autos habe ich zum Glück wenig gesehen.

Immer wieder kleine Schilder mit dem Hinweis auf den Eurovelo 1. Da musste ich jedes Mal fest ans Nordkapp denken.

Die Wälder hier sind toll. So unfassbar grün!

Im Vergleich zu meinem Tempo in Deutschland, komme ich hier bei Weitem nicht so gut voran. Bisher war es immer sehr windig, leider meistens in die falsche Richtung. Heute bin ich einen soliden 15er Schnitt gefahren.

Aber das ist auch in Ordnung. Ich gebe mein Bestes, und wenn die 40 Tage dann nicht bis ans Nordkapp reichen, dann ist das halt so. Mich komplett zu verausgaben und tagelang über die Grenze zu gehen, ist für mich keine Option. Das hab ich gestern beschlossen. Da muss ich meinen Ehrgeiz zwar ein bisschen zügeln, aber im Endeffekt möchte ich die Reise ja auch genießen können.

Die Sonne hier ist genauso warm wie in Deutschland, aber der Wind ist richtig frisch. Da hab ich schnell gefroren. Deshalb hatte ich die ganze Zeit mein langes Trikot an - mit Merino drunter.

Eine Nebenwirkung des Windes ist das andauernde Rauschen im Ohr. Das nervt wirklich sehr. Meine Kopfhörer, die seit ein paar Tagen leider nicht mehr funktionieren, muss ich dringend ersetzen. Heute hab ich sie aufgesetzt, um die Ohren ein bisschen zu verschließen. Auch wenn keine Musik rauskam.

Ich hatte mir fest in den Kopf gesetzt, spätestens um 18 Uhr auf einem Campingplatz angekommen zu sein - mit einer warmen Dusche. Nachmittags habe ich dann also schon immerwieder Ausschau gehalten und auf der Karte abgeschätzt, bis wo ich wohl noch komme.

Tatsächlich wollte ich mich eigentlich gestern nochmal mit frischem Essen eindecken und hatte dafür auch ein bisschen Zeit eingeplant. Aber leider hab ich es erst gescheckt, als ich auf Google Maps gesehen hab, dass die Läden erst wieder am Dienstag öffnen. Es ist ja Pfingsten!

Da hab ich mich vielleicht über mich aufgeregt. Daran hätte ich auch einfach mal denken können. Dumm gelaufen.

Ich hab dann einen Verpflegungsstopp bei einer Tankstelle auf dem Weg eingelegt, dort noch ein paar Snacks gekauft und mir Pommes und Mozzarellasticks bestellt. Leider gab es nur Junkfood.

Und dann bin ich noch ein Stück weiter gefahren, als ursprünglich geplant. Ich hab mir gedacht, dass ich ja einfach schon ein bisschen was von der nächsten Etappe abvespern kann. Es ging noch ziemlich viele Höhenmeter hoch, aber meine Beine haben sich gut angefühlt. Und beim bergauf fahren im Wald war es meistens nicht so windig.

Und vor allem: what goes up, must come down!

Die Abfahrten waren toll und haben mich richtig glücklich gemacht. In dem schnellen Wind hab ich mich lebendig gefühlt.

Und als ich nach 90 Kilometern aus dem Wald rausgekommen bin, konnte ich den Campingplatz schon sehen. Wenn ihr durch die Büsche Richtung See schaut, könnt ihr ihn auf dem kleinen grünen Hügel am See erkennen. Und ganz oben drauf war die Zeltwiese!

Als ich hier am Campingplatz in Flekkefjord angekommen bin, war ich froh zu sehen, dass es hier auch ein paar Lebensmittel zu kaufen gibt. Ich hab mir noch einen Joghurt für morgen früh und ein paar Scheiben Käse gekauft. Dann hab ich mein Zelt oben auf der windigen Wiese aufgebaut.

Dort wo ich es hingestellt habe, gibt es sogar einen kleinen Picknick-Tisch. Als ich hier später mein Essen gegessen habe, hat mich die niederländische Nachbarin angesprochen.

May I ask: Where are you cycling to?
Northcape!

hab ich gesagt. Ihr Blick war erstaunt.

I didn‘t expect THAT!

Da haben wir beide gelacht. Ich halte es ja auch noch nicht ganz für möglich.

Léoni

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Tourdaten

KM gesamt: 1420,71

HM gesamt: 10922

Zeit: 74:15

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KM heute: 92,26

HM heute: 1800

Zeit: 6:08

Kommentare

  1. Sehr weiser Entschluss: Das Nordkapp ist am Ende nur ein Punkt auf der Landkarte, an dem man kurz verweilt. Nicht das Erreichen dieses Punktes ist entscheidend. Vielmehr, dass Du die vielen spannenden Erlebnisse, Begegnungen und Überraschungen auf Deinem Weg genießt. An sie wirst Du Dich später mit Freude und einem warmen Gefühl im Bauch errinnern.

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    1. …ist halt nicht so leicht, einen Gang runterzuschalten, wenn man Ehrgeiz hat. Aber wem sag ich das 🤪

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  2. Tante Brigitte09.06.2025, 11:15:00

    Flekkefjord, ich erinnere mich noch sehr genau - liegt zwischen Kristiansand und Stavanger. Bis dorthin in 12 Tagen mit einem voll bepackten "Bio-Bike" zu fahren, ist echt der Wahnsinn. Typisch Léoni halt. Dir weiterhin eine gute Fahrt - und wie "der Papa" sagt - spannende Erlebnisse, .....usw.

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    1. Entschuldigung bitte, es waren nur 11 Tage bis Flekkefjord! 😝
      Vielen Dank euch. ❤️ Meine Beine hören das Lob gern.

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