02 - STARTSCHWIERIGKEITEN

Als ich heute Morgen aufgewacht bin, war ich erstaunt darüber, wie regenerativ die Nacht für mich war. Ich hatte befürchtet, mich viel älter zu fühlen, als 25. Aber eigentlich war ich schon wieder ziemlich fit!

Weil Papa schon um 07:30 Uhr in den Zug steigen musste, haben wir uns dann auch beeilt. Fanny hatte uns gestern Abend schon ein Spitzen-Müsli vorbereitet, von dem wir so viel wie möglich in uns reingeschaufelt haben. Ich habe noch alles gepackt (dachte ich zumindest, aber dazu später mehr) und noch schnell Zähne geputzt. Dann sind wir zackig zu Omar gestiefelt, bei dem wir unsere Fahrräder im Keller eingeschlossen hatten. Der Abschied von Papa war genauso kurz und schmerzlos, wie von Mama und Oli. Und das war wahrscheinlich auch besser so. Papa ist dann zur Bahn geradelt, Fanny und ich haben noch mein Fahrrad fertig gepackt und sind dann losgefahren.

Fanny hat inzwischen das alte Rennrad, dass ich vor ein paar Jahren mal von einem Familienfreund (Martin :-)) geerbt habe. Und damit haben wir dann die ersten zwanzig Kilometer meiner Etappe unsere erste gemeinsame Rennrad-Tour gemacht. Das war richtig richtig schön für mich, von ihr begleitet zu werden.

Leider waren die ersten Kilometer, bis wir aus der Stadt raus waren, nicht so richtig schön. Viel Straße und wenig Radwege, auf denen man nebeneinander fahren konnte. Wir sind dann nach einer Stunde mal auf einen Feldweg abgebogen und haben uns dort noch einen Riegel geteilt. Dann haben wir uns verabschiedet. Auch kurz und schmerzlos. Und trotzdem war Fanny die letzte, die bis dahin noch da gewesen war. Ich wusste, dass ich ab jetzt wirklich wieder ganz allein unterwegs sein würde. Als ich die ersten hundert Meter den Feldweg runtergefahren bin, habe ich noch ganz laut geschrien vor Freude und Fanny hat mich beim Wegfahren gefilmt. Bei der nächsten Wegkreuzung hat es mich dann eingeholt. Ich musste plötzlich ganz schlimm weinen, es kamen so viele Emotionen aus mir raus. Der Schock, dass es jetzt doch so schnell ging. Die Einsicht, dass es wirklich fast 6 Wochen dauern wird, bis ich wieder ein bekanntes Gesicht sehe. Die ganze Angst, dass irgendetwas schief läuft. Dass ich es nicht schaffe. Vielleicht auch emotional. Die Angst davor, allein zu sein. Mit mir und meinen Emotionen. Mir ist aufgefallen, dass mir das vor vier Jahren, bei meiner letzten großen Tour, deutlich leichter gefallen ist. Ich weiß nicht, ob das am Alter liegt, oder auch einfach daran, was Oli und ich für eine enge und starke Beziehung aufgebaut haben. Wir teilen so viel. Eigentlich fühle ich mich dadurch sehr gestärkt, jemanden an meiner Seite zu haben. Aber heute war es durch diese Abhängigkeit auch irgendwie schwerer. Ich habe gemerkt, dass ich mich alleine dann gleich unsicherer fühle. Das möchte ich durch diese Reise ändern…

Kaum hatte ich mich einigermaßen wieder gefangen, hat mich der nächste Schlag getroffen. Es war wie so ein Geistesblitz, der einen plötzlich trifft.

Scheiße, wo sind eigentlich meine Powerbanks?!

Mir dämmerte Übles. Mit Vollbremsung bin ich am Wegesrand stehen geblieben und habe alle möglichen Taschen durchsucht. Nichts. Panik. Ich habe versucht, Fanny anzurufen. Natürlich ging sie nicht ran, weil sie grade auf dem Fahrrad zurück nach Würzburg saß. Dann hab ich Omar geschrieben, ob er einen Kontakt zu ihrer WG hatte. Er hatte zwar keine Handynummern, machte sich aber direkt auf den Weg um dort zu klingeln. Leider war das auch vergebens.

Ich hatte mich inzwischen an ein kleines Wasserhäuschen in die Sonne gesetzt und versuchte dort, meine Gedanken zu sammeln. Lieber zurückfahren und 40 Kilometer um sonst radeln? Lieber einfach weiterfahren und eine neue Powerbank kaufen? Ich war mir unsicher und es viel mir wie immer nicht leicht, Hilfe von Außen anzunehmen. Aber letzendlich klang es doch am vernünftigsten. Also startete ich einen letzten Versuch, durchforstete Fannys Instagram Follower nach irgendeinem Namen, an den ich mich von ihren Mitbewohnerinnen erinnerte. Und ich fand einen! Ich schrieb ihr, in aller Hoffnung, dass sie die Nachricht von einem ihr unbekannten Konto überhaupt lesen würde. Aber tatsächlich hatte ich Glück. Diese Mitbewohnerin, nennen wir sie aus Anonymitätsgründen mal Mitbewohnerin 1, war zwar selbst nicht zuhause; schickte mir aber die Handynummern von Mitbewohnerinnen 2 und 3. Und Mitbewohnerin 2 war tatsächlich zuhause und ich hatte direkt eine Antwort auf WhatsApp. Sie hatte die Powerbanks gefunden. Da kannste nix sagen - dieses Instagram hat auch positive Seiten!

Ich schrieb nochmal Omar. Der machte sich direkt mit dem Fahrrad auf den Weg, um das Auto zu holen, das bei seinem Onkel stand. Und genau in dem Moment, als ich schon alles organisiert hatte, kam Fanny wieder in Würzburg an. Die hat vielleicht Augen gemacht! Ich glaube, ich sollte eine Alternativkarriere als Detektivin in Erwägung ziehen…

Omar ist dann mit dem Auto bei Fanny vorbei und hat meine Sachen geholt und sie mir vorbeigebracht. Was ein guter Mann! Das war die erste Geschichte aus den Chroniken der Leo-Vergessmaus. (eine Anspielung auf Leo-Lausemaus, das ist ein Kinderbuch und so nennt Oli mich manchmal, wenn meine Haare besonders wild aussehen)

Um 11:20 Uhr konnte ich endlich wieder weiterfahren. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich erst 25 Kilometer auf dem Tacho, es lagen noch 130 vor mir. Das motivierte mich.

Ich radelte und radelte, snackte ein bisschen beim Fahren auf dem Rad. Leider stellte sich heraus, dass meine Route mich ziemlich viele Kilometer über die Bundesstraße führte. Das war ein Graus. Nach 65 gefahrenen Kilometern und drei Nahtoderfahungen mit Autos und Traktoren, die mir deutlich näher kamen, als mir lieb war; brach ich die Sache ab. Ich stellte mir auf Komoot eine neue Route zusammen , mit der Einstellung „Fahrrad“. (Zur Info: bisher bin ich mit der Rennrad-Einstellung gefahren, die führt aber offensichtlich auch über Bundesstraßen) Die Fahrrad-Einstellung bedeutete zwar 10 Kilometer mehr als ursprünglich geplant, aber auch viel mehr Fahrradwege und ein paar weniger Höhenmeter. Das nahm ich in Kauf.

Als ich mich wieder auf den Weg machte, muss es so 14 Uhr gewesen sein. Ich dachte, endlich alle Probleme für den Tag gelöst zu haben. Aber das wär ja langweilig gewesen.

An einer Kreuzung, bei der ich auf die Straße fahren wollte, machte ein Auto faxen. Ich war mir nicht sicher, ob es abbremste, um mich rein zu lassen. Aber dann fuhr es doch weiter, mit einer Geschwindigkeit, die ich deutlich höher eingeschätzt hatte. Ich zögerte eine Sekunde zu lang und kippte letztendlich mit dem ganzen Fahrrad auf die Bordsteinkante. Ich weiß, Papa, du hast mir schon gesagt, dass ich meine Clickies lockerer einstellen soll. Das werde ich jetzt auch machen. Und ich rege mich auch sehr darüber auf, dass wieder erst etwas passieren musste, um mir das klarzumachen. Aber ich glaube auch, dass der Sturz in dem Moment trotzdem passiert wäre. Das Gewicht meines Fahrrads richtig einzuschätzen, finde ich noch ganz schön schwer.

Zum Glück passierte mir bei dem Sturz nur ein blauer Fleck. Die nächsten Kilometer fuhr ich dann noch bedachter, als bisher. In meinem Kopf war es aber auch ziemlich chaotisch. Ich kämpfte mit meinen Gefühlen und mit dem Eindruck, mich noch garnicht so richtig auf die Reise einlassen zu können. Es war wie ein neuer Schuh, der am Anfang richtig drückt. Ein Teil von mir fragte sich permanent, was ich mir da wieder für eine wilde Idee ausgedacht hatte.

Am Nachmittag bin ich dann über die Grenze nach Thüringen eingefahren. Und da habe ich plötzlich gemerkt, wie schön es hier ist. Ich musste noch ziemlich Höhenmeter strampeln und die Route führte mich auf ganz kleinen Straßen die Hügel hinauf. Die Felder waren so grün und gelb und überall blühte Mohn. Und ich glaube, ab da ging es mir dann besser. Als ich die letzte kleine Straße bis ganz nach oben pedaliert war, stand die Sonne schon relativ tief und das Lichtspiel im Wald war unfassbar schön. Ich wusste, dass ich nur noch eine Abfahrt zu machen hatte. Und das war das beste Gefühl der Welt. Und ich wusste auch, dass unten im Tal ein kleiner Campingplatz auf mich wartete. Dort hatte ich schon nachmittags angerufen. Er war zwar wohl schon ganz überfüllt, aber der Campingplatzbesitzer war super nett und sicherte mir zu, dass wir für mich noch einen Platz finden würden.

Zur Not auf dem Volleyballplatz!

Und zeitlich hatte ich wohl auch keinen Stress, er sei bis „22 Uhr oder so“ da. Mit diesem Wissen machte ich unten im Ort erst noch einen Abstecher bei der Bank und Rewe. Die Spezi, die ich mir dort kaufte, war so schnell runtergeext, dass ich danach so krass rülpsen musste, dass die Kohlensäure richtig in der Nase brannte.

Für den Weg gab es noch ein Eis und dann machte ich mich zu Fuß auf den Weg. Ich musste nur noch die Straße runter. Als ich dort um kurz nach 20 Uhr ankam, war die Kasse zwar schon zu und es gab kein Wechselgeld mehr. Aber für den Schein, dem ich dem Campingplatzbesitzer gab, bekam ich dann noch ein Getränk dazu.

Bier oder Radler?

Radler natürlich!

Bei der heißen Dusche, die sich unglaublich gut und wiederbelebend anfühlte, hab ich gemerkt, dass ich mir einen ganz schönen Sonnenbrand zugezogen hab. Super Léoni! Damit rechnet man auf einer Reise ans Nordkapp halt eher weniger…

Jetzt liege ich im Bett, hab noch was warmes gegessen und höre dem Froschkonzert aus dem Nachbarteich zu.

Morgen werde ich eine deutlich kleinere Etappe fahren. Damit ich ein bisschen länger schlafen kann. Mein Fahrrad hat seit dem Sturz außerdem ein bisschen Schwierigkeiten beim Schalten. Aber ich möchte jetzt mal keine Panik verbreiten - darum kümmere ich mich morgen. Und das bekomme ich schon wieder hin.

Léoni

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Tourdaten

KM gesamt: 318,37

HM gesamt: 3137

Zeit: 16:27h

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KM heute: 163,83

HM heute: 1286

Zeit: 08:13

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