Kapitel 27 // A B S C H L U S S P R Ü F U N G



Ohne den Titel dieses Kapitels jetzt lang und breit zu erklären; gestern war mein viertletzter Tag auf dem Fahrrad. Mein letzter Tag in den Alpen und mein letzter  Tag in einem Land, das nicht Deutschland heißt. Und die Etappe gestern war für mich wahrscheinlich die anstrengendste der ganzen Reise. Das war wie eine kleine Abschlussprüfung. 

Obwohl in Imst laut Wetter-App schon um kurz vor 7 die Sonne aufgegangen war, kamen die ersten Strahlen erst um viertel vor 9 über die Berge ins Tal. Weil ich früh los wollte, hatte ich meine Sachen aber schon (vorwiegend feucht) eingepackt. Um 9 habe ich noch meine Fahrradflaschen aufgefüllt, mir wegen den 12 Grad noch die Jacke über den Pulli angezogen und bin auf mein Fahrrad gestiegen. Gerhard von der Rezeption hat mir noch hinterher gewunken, als ich vom Campingplatz Richtung Imster Innenstadt gestartet bin.  
Direkt ging es schon ganz schön steil nach oben. Zwar wusste ich, dass meine Tages-Etappe mit kaum 1.000 Höhenmetern für mich theoretisch gut machbar war; allerdings spielte mir die Richtung, in die ich unterwegs bin, nicht wirklich gut in die Karten. Ich glaube, die Via Claudia ist eigentlich schon dazu ausgelegt, dass man sie von Norden nach Süden bewältigt, nicht andersherum. Zumindest fühlt es sich so an. Die Anstiege, die ich gestern bewältigen musste, waren oft eigentlich nur bergab befahrbar; vor Allem mit so einem Fahrrad, mit dem ich unterwegs bin. Trotzdem hatte ich ja keine Wahl. Für mich wird es langsam wirklich Zeit, nachhause zu kommen. Und das ist auf schnellstem Weg nun mal Richtung Norden zu erreichen. 

Von Imst bin ich über wahnsinnig grüne Wiesen und Felder Richtung Nassereith gefahren. Ist schon krass, wie viele Wiesen es hier gibt. Wirklich, bei uns gibt es doch viel mehr Ackerflächen; zumindest hab ich das Gefühl. An wenigen Orten auf meiner Reise fand ich es so grün wie hier in den Bergen. 





Morgens ist das Licht hier dann auch einfach echt schön. Die ganze Feuchtigkeit, die sich nachts ansammelt, macht die Luft ganz diesig. In der Weite scheint sich ein Schleier über alles zu legen und die Berge bekommen so einen transparent-blauen Schimmer.





Schon um halb 11 war ich in Nassereith. Und hier hat auch schon meine große Abschlussprüfung begonnen. Der Fernpass! Letztes Jahr bin ich ihn ja andersherum hochgefahren. Wenn Du damals schon meinem Blog mitgelesen hast, wirst Du dich vielleicht daran erinnern, was ich da erzählt habe. Von Norden kommend fand ich den Anstieg relativ machbar, dafür die Abfahrt jedoch ziemlich steil. Tja, und die Abfahrt musste ich gestern hoch. Und zum ersten Mal musste ich ganz schön lang am Stück absteigen, schummeln und schieben. Der Fahrradweg war so steil, dass es mit meinem Rad kaum möglich war, dort hochzufahren. Allein rein technisch ist es mit seinen schmalen, festen Reifen überhaupt nicht für solche Untergründe ausgelegt. Und dann kommt noch das ganze Gewicht dazu. Weil ich am Mittwoch frisch einkaufen war, hat mein Gepäck gestern schätzungsweise 25 Kilo gewogen. Und die hingen alle volle Pulle hinten an meinem Gepäckträger. Da ist der Hinterreifen im losen Schotter einfach durchgedreht. 
Allerdings war der Weg so steil, das selbst das schieben richtig anstrengend war. An manchen Stellen kam ich kaum hoch, weil ich immer wieder nach hinten abgerutscht bin. Am schlimmsten war es, wenn ich angehalten habe. Dann musste ich mit Schwung die 40kg (Fahrrad + Gepäck) wieder zum Rollen bekommen. Das war hart. 





Es mag sein, dass mir das alles auch nur so schwer gefallen ist, weil meine Armmuskeln im Vergleich zu meinen inzwischen knackigen Oberschenkeln eher zwei zu lang gekochten Spaghettis ähneln. Aber auf jeden Fall wird das vermutlich der erste Muskelkater meiner Reise. 






Im Endeffekt habe ich es aber schon hinbekommen. Mit ganz viel Zeit, Schweiß und zwei Proteinriegeln. Die Abfahrt war danach zwar auch nicht so entspannt, weil ich ziemlich langsam und vorsichtig fahren musste. Ich musste versuchen, möglichst immer in der Spur mit den wenigsten Steinen und dem festesten Untergrund zu bleiben. Wenn man mit so einem vollgepackten Fahrrad nämlich in eine Rinne mit richtigem Kies kommt, sinken die Reifen ein und man kommt ins Schleudern. So bin ich ja damals vor ein paar Wochen auch gestürzt.




Unten im Tal musste ich am See eine kleine Essenspause machen und Energie tanken. Aber ich hatte wirklich Zeit. Als ich über den Fernpass drüber war, war es ungefähr 13:30 Uhr.

Später musste ich noch 25 Kilometer bis Reutte. Es war zwar immer wieder ein bisschen hügelig, und mit dem Gegenwind, der gestern geweht hat, kam ich nicht schnell voran. Aber ich bin einfach nach meinem Tempo gefahren. Habe Musik gehört und mich insgeheim schon ein bisschen gefreut, dass ich meine Abschlussprüfung bestanden hatte. 




Um kurz nach vier war ich dann hier auf dem Campingplatz. Obwohl er eigentlich voll war, habe ich noch einen Platz für mein Zelt und eine warme Dusche bekommen. Schon um 9 war ich so müde, dass mir schier die Augen zugefallen sind. Ich habe das Gefühl, dass mein Körper sich langsam wirklich auf eine Pause freut. Und zwar eine richtige, nicht nur einen Tag Radel-Stopp. 

Heute Nacht hat es, wie vom Platzwart angekündigt, richtig stark geregnet. Aber Olis Zelt ist nach wie vor trocken geblieben. Das ist wirklich ein super Teil. Jetzt bin ich wach, will eigentlich um 8 starten aber draußen ist es noch wahnsinnig kalt. Trotzdem kann ich mich richtig freuen. Das war nämlich die vorletzte Nacht im Zelt.

Hab einen schönen Tag,
Léoni


Zahlen des Tages:





 

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