Nach meinem Tief habe ich mich gestern Abend lange gefragt, wie ich meine Motivation zurückbekomme. Abends frisch geduscht und vollgegessen im Schlafsack ging es mir zwar schon ein bisschen besser, aber trotzdem war meine Motivation für die Tour noch nicht so ganz wiederhergestellt. Mit Oli und Mama, aber vor Allem Papa, habe ich noch lange auf WhatsApp geschrieben und darüber gesprochen, wie ich mich fühle. Papa hat mir dann gesagt, dass es jetzt wichtig wäre, irgendwas zu finden, das mich weiter glücklich macht. Kleine Momente, die schön sind; Dinge über die ich mich freuen kann und Sachen, die Spaß machen.
Also bin ich heute morgen möglichst optimistisch aufgestanden und habe mir vorgenommen, den Tag über auf Protonensuche zu gehen. Auf die Suche nach kleinen, positiven Sachen. Und das hat erstaunlich gut funktioniert.
Zwar war es heute morgen in Fuhrmannsloch furchtbar zapfig (zapfig = so kalt, dass Zapfen gefrieren; heute sind aber nicht wirklich Zapfen gefroren, es hatte 12 Grad), aber immerhin hat die Sonne geschienen. Der Himmel war klar und meine Gut-Wetter-Strähne schien weiter anzuhalten. Das war doch was positives. Das erste kleine Proton. Als ich aus meinem Zelt gekrochen bin, hat mein Camping-Nachbar, ein Holländer mit ziemlich gutem Deutsch-Wortschatz mit einem Kaffee angeboten. Zwar trinke ich keinen mehr, aber die Geste hat für mich gezählt. Wir haben uns ein bisschen unterhalten und festgestellt, dass wir beide ziemlich fahrradbegeistert sind. Er konnte mir ein paar Tipps zum Mountainbiken geben und ich habe mich mit meinem zweiten gefundenen Proton auf den Weg gemacht. Und es war noch früh; schon um kurz nach 9 war ich unterwegs. Das war noch etwas, über das ich mich freuen konnte.

Bis Nauders ging es über die Felder immer leicht abschüssig und ich konnte es richtig rollen lassen. An einer Baustelle an der Bergbahnstation kam mir ein Baggerfahrer entgegen. Wo ich denn hinfahre, hat er mich beim Anblick meines vollgepackten Gepäckträgers gefragt. Als ich ihm Stuttgart als mein Ziel genannt habe, fand er das ziemlich weit. Aber als ich ihm dann erzählt habe, was ich schon alles gefahren bin, hat er mir fast nicht geglaubt. Er ist tatsächlich aus seinem Bagger gestiegen, um sich mit seinen eigenen Augen von dem Kilometerstand auf meinem Tacho zu überzeugen.
„Na dann gute Heimreise!“
hat er mir gewünscht, als ich weitergefahren bin. Heimreise. Als ich dieses Wort gehört habe, ist mir ein bisschen warm ums Herz geworden. Tatsächlich war es das erste mal, dass mir jemand keine schöne Reise, sondern eine schöne Heimreise geführt hat. Weil ich auch zum ersten Mal auf meiner Reise mein Zuhause als Ziel habe. Und das ist etwas, auf das ich mich sehr freue. Das war noch ein kleiner Protonenmoment. Da war ich plötzlich richtig motiviert. Nach Nauders ging es noch ein kleines Stück nach oben auf die Norbertshöhe. Und von hier konnte ich die langen Serpentinen nach Martinsbruck runterfahren. 750 Höhenmeter auf einmal. Protonen!!!
Martinsbruck liegt in der Schweiz. Und so bin ich heute über die fünfte und sechste von sieben Grenzen gefahren. Das war auch ein schönes Gefühl. Mit jedem Kilometer hab ich immer mehr Protonen gefunden.
Die flache, frisch geteerte Straße auf dem Weg Richtung Pfunds. Die Aussicht auf die Berge, die von unten so wahnsinnig hoch aussahen. Die Sonne, die langsam so hoch stand, dass sie bis zu mir ins Tal runtergeschienen hat.
Meine optimistische Laune hat sich auch positiv auf meine Energie ausgewirkt. Ich habe die Ruhe auf den Radwegen genossen und kam richtig gut voran. Mittags bin ich relativ flach am Inn entlang gefahren. Als ich an einer ruhigen Stelle Pipi-Pause gemacht habe, konnte ich durch das Gebüsch auf den türkisblauen Fluss sehen. Da musste ich einfach kurz auf die Steine klettern und eine kleine Skulptur bauen, wie sie seit letztem Jahr schon (und hoffentlich noch immer) irgendwo hinter Augsburg am Lech steht.
Merida und Léoni, pt. 2.
Und dann war ich schon relativ früh hier in Imst. Den Campingplatz kenne ich auch schon von letztem Jahr, das ist irgendwie cool. Ein allerletztes Mal habe ich vor Kempten nochmal ein paar Unterhosen gewaschen und nach meiner Dusche dann noch ein bisschen auf meiner Isomatte in der Sonne gelegen. Und dann habe ich beschlossen, dass heute wieder ein schöner Tag war. Weil ich einfach so viele kleine Protonen gefunden habe.
Jetzt liege ich im Schlafsack, gehe gleich Zähne putzen und versuche dann morgen wieder genau so früh loszukommen. Ich will endlich zu Fanny.
P.S. Dass es zu den letzten Etappen jetzt deutlich weniger Fotos und Infos über die Route gibt, liegt schlichtweg daran, dass ich sie schon kenne. Die meisten schönen Aussichten habe ich letztes Jahr schon in meinem Blog geteilt und weil ich sie schon einmal gesehen habe, erscheinen sie mir nicht immer als nochmal teilenswert. Ich hoffe, das ist okay so.
Zahlen des Tages:
Insgesamt habe ich schon 2.194km und 15.003hm. Der große Riesen-Kreis beginnt langsam, sich zu schließen. Eigentlich ist es eher ein komisches Dreieck. Papa findet, es sieht aus wie ein riesiger lachender Mund.
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