Kapitel 15 // T A G T R Ä U M E



Heute Morgen war es beim Aufstehen richtig kühl. Aber das kenne ich ja inzwischen von den letzten Tagen hier. Mir fällt es dann immer ziemlich schwer, aus meinem Schlafsack zu kommen, aber letztendlich führt kein Weg drumrum. Ich kann da auch nicht ewig liegen wie so ein Léoni-Burrito. 


Beim Frühstücken habe ich ein Motorrad-Paar aus Hamburg kennengelernt. Es gab nur einen Tisch und ich durfte mich freundlicherweise zu den zwei dazusetzen. Wir sind ins Gespräch gekommen und haben uns irgendwie ganz gut verstanden. Das war lustig, die waren früher nämlich auch mit dem Fahrrad unterwegs. Die Frau sogar auch alleine, so wie ich. Das ist mir bisher sehr selten passiert, dass ich Frauen treffe, die mit sowas Erfahrung haben. Irgendwie fühlt sich das immer besonders schön an. Vielleicht gerade deshalb, weil es eben so selten ist. Das ist, als würde man auf der Straße jemanden treffen, der genau den gleichen Lieblingspulli anhat. Oder so ähnlich. Da fühlt man sich gleich ein bisschen verbunden. Ich zumindest. 
Naja, jedenfalls war das ein schöner Morgen. Leider habe ich - mal wieder - nicht nach den Namen gefragt. Darüber rege ich mich im Nachhinein immer auf. Wobei ich meistens so schlecht im Namen-Merken bin, dass ich die ohnehin wieder vergesse. 

Meine Wäsche war vom Vortag natürlich noch total feucht, draußen war es nachts viel zu kühl gewesen. Also hab‘ ich sie hoffnungsvoll über meine Packtaschen gehängt und bin losgedüst. Über kleine Landstraßen und Feldwege, auf denen aber erstaunlich viele Autos unterwegs waren, ging es hügelig voran. Dadurch war meine Durchschnitssgeschwindigkeit, wie auch schon gestern, weit unter meinem Gesamtdurchschnitt. 

Trotzdem hab‘ ich es genossen. Zu reisen heißt immerhin, unterwegs sein. Egal, mit welchem Tempo. Hauptsache immer ein bisschen vorwärts.





Die Wolken hingen auch heute Vormittag wieder erstaunlich tief und um kurz vor 11 kam der erwartete Regen. Schon wieder. Ich glaube, es hat bisher kaum einen Tag gegeben, an dem ich nicht entweder nachts oder tagsüber mal Regen hatte. Aber seit ich in Slowenien bin, schüttet es jeden Tag einmal so richtig.?Naja, jedenfalls musste ich meine nasse Wäsche schnell in meine Taschen packen. Das gehört zu den Sachen, die ich an so einer Tour am ekligsten finde. Der Geruch, der einem später beim Öffnen der Taschen entgegenkommt, ist echt nicht so toll. Und meistens kann man die Wäsche dann direkt nochmal waschen. 





Aber wenn man denkt, dass es gerade ziemlich blöd läuft, kommt das Schicksal und erinnert einen: 

Schlimmer geht immer.

Kurz nachdem der Regen begonnen hatte, hat Komoot mich auf eine kleine Landstraße geführt. Und das für die nächsten 30 Kilometer. Bei Regen und Kälte war das ziemlich unangenehm. 

Ich hab keine Fotos gemacht und hab einfach nur in die Pedale getreten. So schnell wie möglich wollte ich diesen Streckenabschnitt hinter mich bringen. Die Kilometer wollten aber einfach nicht weniger werden und so habe ich versucht, mich irgendwo anders hin zu träumen. Ich habe viel an das gedacht, was ich in den nächsten Tagen erleben werde und an das, was nach der Tour kommt. In meinem Kopf habe ich ausgerechnet, wann ich ungefähr wo angekommen sein werde. Das hat die Situation ein bisschen erträglicher gemacht. Nachmittags habe ich dann in einem Bushaltestellen-Häuschen schnell ein Müsli gegessen und bin weiter. 

Komoot dachte wohl, es würde mir einen Gefallen tun, indem es mich auf einen kleinen Schotterweg parallel zur Landstraße schickte. Das war sowas von Quatsch. Dieser Weg war glaube ich die Vorlage für den schlimmen Ohrwurm von Xavier Naidoo‘s Top-Hit. Der war nämlich wirklich nicht leicht. Total grober Schotter, sodass ich richtig drübergepoltert bin. Und viel mehr als 10km/h gingen da auch nicht. Aus irgend einem Grund ging es an einer Stelle parallel an die Autobahn ran. Dann steil hoch, so steil, dass ich schieben musste, und direkt danach steil runter. Und da ist es passiert.




Immerhin habe ich es dieses Mal fast 1400 Kilometer ohne Sturz geschafft. Aber irgendwann passiert das immer. Meine Reifen sind im Schotter komplett versunken und sind durch mein panisches Bremsen bergab nur durchgedreht. Ich bin vollekanne auf die Rechte Seite geklatscht. Alles ging so schnell, dass ich auch nicht so wirklich aus meinen Pedal-Schlaufen rauskam und mitsamt Fahrrad zu Boden gegangen bin. Auf die frische Wäsche, die ich ungefähr 10 Minuten vorher wieder rausgeholt hatte, direkt drauf. Wie durch ein Wunder sind aber sowohl das weiße T-Shirt, auf das ich geflogen bin, als auch ich, unversehrt geblieben. Oder einigermaßen zumindest. Im Fall eines Falles ist richtig fallen eben alles. Noch so ein blöder Kalenderspruch, der leider wahr ist.

Ich hatte mich gerade wieder aufgerappelt, alles hochgehievt und kontrolliert, als mich 100 Meter weiter schon das nächste Hindernis erwartet hat.




Ich weiß, vor zwei Tagen habe ich noch so über Komoot geschwärmt. Die App ist auch immernoch echt praktisch - keine Frage. Dass ein Bach aber als Radweg gilt, ist mir noch ein kleines Rätsel. Das war nämlich keine spontane Überschwemmung oder so, nein. In der App führte der Weg auch ganz explizit über einen Bach. Da wollten die Entwickler wohl einfach ein bisschen Action einbauen. Die gab es dann auch. Zurückzufahren ist für mich und meinen Dickkopf ja meistens sowieso keine Option, also hab ich meine Schuhe ausgezogen und bin blind und naiv mit meiner Merida an der Hand losgewatet. Dass da nicht auch noch so ein Unglück passiert ist, gleicht jetzt eigentlich fast schon an ein Wunder. Der Hang an der anderen Uferseite war nämlich ziemlich steil und verdammt rutschig, da wär ich fast nicht hochgekommen. Da mag ich bloß nicht dran denken, was alles passiert wäre, wenn mir das Fahrrad da rückwärts ins Wasser gefallen wäre. Mit der ganzen Wäsche draußen, dem Handy an der Halterung und der Kamera in der Lenkertasche. Uiuiui. Sowas mach‘ ich besser nicht mehr.

Gegen 15 Uhr ist dann endlich der Himmel aufgerissen. So waren die letzten Kilometer bis Ljubljana noch richtig schön. Hier auf dem Campingplatz angekommen, war es dann richtig warm. Ich hatte richtig Sommergefühle. Das totale Gegenteil von heute morgen. Da war es auch zu verkraften, dass hier alles sehr minimalistisch ausgestattet ist. Es gibt nur eine kleine Outdoor-Dusche, in der man sich auf eine Palette stellen muss und wo es nur kaltes Wasser gibt, zwei Klos und eine Trinkwasserstelle. Der ganze Platz ist aber total grün, mit einer schönen Wiese. Nebenan ist direkt eine Pferdekoppel und die Leute sind total entspannt. Mein Zelt ist durch die viele Sonne auch endlich mal trocken geworden und ich kann jetzt beruhigt schlafen gehen. 

Auf eine trockene Nacht,
Léoni 

Zahlen des Tages:





Kommentare

  1. Also inzwischen muss ich sagen, dass all diese Apps Schrott sind, was die Routenführung angeht. Man landet immer irgendwie in einem Feld oder muss durch einen Dschungel, weil der Weg seit Jahrzehnten nicht mehr verwendet wurde. Deswegen verwende ich nur noch GPX-Dateien.

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